ESSAY-BRIEF

Essay-Brief Oktober 2016

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„Sich selbst lieben“

© Bernd Helge Fritsch

 

„Sich selbst zu lieben“ wird heutzutage nicht nur von Lebensberatern und Psychologen empfohlen. Man kann den Aufruf zur „Selbstliebe“ schon als Mode-Krankheit bezeichnen.  Sie wird in vielen Selbsthilfe-Büchern  und insbesondere in einschlägigen illustrierten Zeitschriften zelebriert. Doch geht es dabei wirklich um Liebe? Oder hauptsächlich darum, seinen Willen durchzusetzen, sich gegen andere „abzugrenzen“ und das eigene Ego zu stärken?

Wer liebt wen?

Fragen wir uns zuerst: „Wie kann ich mich selbst lieben?“ „Wer liebt wen in der Selbstliebe?“ „Haben wir zwei oder mehrere Ich, die einander einerseits lieben und andererseits verachten, ablehnen oder gar hassen können?“

Tatsächlich kennt jeder von uns Situationen, bei denen wir uns schämen, dies oder jenes gemacht zu haben, bei denen wir uns selbst verurteilen, wo wir darunter leiden, weil wir uns einbilden, vor anderen nicht gut genug da zu stehen. Jeder kennt das Hadern mit sich, wenn wir uns als schwach und fehlerhaft einschätzen.

Normalerweise macht es uns viel trauriger und verzweifelter, wenn wir uns selbst wegen irgendeines Verhaltens verurteilen, als wenn wir ein Fehlverhalten bei anderen Menschen beobachten und kritisieren.

Es kann nur unser Ego sein, welches unseren Charakter und unser Tun negativ beurteilt und nicht lieben will. Hingegen lebt unser „Atman“, unser göttlicher Wesenskern auf, wenn wir uns, die anderen und die Welt so lieben, wie sie sind. Er verwirklicht sich, wenn wir uns darauf besinnen, Liebe zu sein, statt Liebe erreichen, haben oder machen zu wollen.

In der „Nicht-Liebe“ uns selbst oder anderen gegenüber kommt unsere Ablehnung von dem „WAS IST“ zum Ausdruck. Dies ist die Ursache all unserer Probleme. Nicht-Liebe bedeutet Widerstand gegen das Sein, wie es ist. Daraus folgen innere und äußere Konflikte, Furcht, Schmerz, Hass, Streit und Krieg.

Das Ego möchte besser sein als es ist. Doch in der Regel scheitern gerade dadurch alle seine diesbezüglichen Bemühungen. Meist wird es dabei noch unglücklicher, als es ohnedies schon ist. Das Ego ist unwissend, denn es erkennt nicht, dass wahre, anhaltende „Verbesserung“ nur durch liebevolles Annehmen und Anschauen von dem WAS IST und nicht durch Bekämpfung von dem WAS IST erfolgen kann.

Menschen, die andere verurteilen oder angreifen, sind immer Menschen, die in ihrem Seelengrund sich selbst nicht annehmen und lieben können. Sie projizieren ihren Frust nach außen und hoffen so, natürlich aus tiefer Unbewusstheit heraus, ein Ventil für ihren Selbstzerstörungstrieb zu finden.

Wer bin ich?

Unser Ego und in der Folge die Verurteilung dieses Egos resultieren aus der Identifikation mit unserem Körper und mit unseren angeborenen und anerzogenen Denk-, Gefühls- und Verhaltensmustern.

Daher kann die Befreiung nur dadurch erfolgen, dass wir erkennen, wer wir sind.

Ein guter Weg dorthin besteht darin, unser anerzogenes und selbsterworbenes Selbstbild in Frage zu stellen, zu erkennen, zu lieben und auf diese Weise zu transformieren. Das machen wir am besten, indem wir uns immer wieder fragen: „Wer bin ich?“ Vermeide dabei, dir aus deinem Ego heraus eine Antwort zu geben. Sonst beißt sich dein „Ego-Hund“ selbst in seinen Schwanz. Es genügt, dir immer wieder diese Frage zu stellen: „Wer bin ich?“ Die richtige Antwort darauf wird gewiss, etwas früher oder später, aus der Stille, aus deinem innersten Sein auftauchen. Es wird keine intellektuelle Antwort sein, sondern eher ein tiefes Gefühl von Freiheit, Liebe, Schönheit und Lebensfreude. Du wirst erfahren, was es bedeutet, reines „Ich bin“ zu sein, statt sich wie bisher mit dem eigenen Körper, mit seinen Lebensumständen, seinen Stärken und Schwächen, seiner Vergangenheit, seiner Familie oder gar sich mit seiner Rasse, seinem Volk oder mit einer Religion zu identifizieren.

Nur am Rande sei bemerkt, dass diese Art der „Wer bin ich?“ - Selbstbefragung  eine uralte Methode der Selbst-Befreiung ist, die schon vor etlichen tausend Jahren in Indien praktiziert und gelehrt wurde. Sie nannten diese Art der Selbsterforschung „Vichara“ (sanskrit: vicara).

Radikale Liebe

Die Selbsterkenntnis sollte Hand in Hand mit „Radikaler Liebe“ gehen.

Denn das einzige Hindernis auf dem Weg zur Befreiung besteht in mangelnder Liebe. Unsere primäre Lebensaufgabe besteht nicht darin, von einem schlechten Menschen zu einem guten zu mutieren, sondern darin, unsere „Nicht-Liebe“ zu beenden. Wir beenden sie am besten, wenn wir ihrer bewusst werden und sie in unsere Liebe einbeziehen.

Unser Leben, unser Schicksal wird davon bestimmt, wie sich unsere Seele ausdehnt oder zusammenzieht. Jede Ablehnung von dem, was ist, jeder Ärger, jeder innere und äußere Widerstand gegen das WAS IST, zieht uns zusammen, verhärtet uns, macht uns eng, isoliert uns, bindet uns, schafft Probleme, verursacht Ängste und Ohnmachtsgefühle. Dieses „Zusammenziehen“ ist Teil des Entwicklungsweges eines jeden Menschen. Es gehört zu unserem Leben, um Bewusstsein und unsere Persönlichkeit zu entfalten. Lerne dieses „Zusammenziehen“ bei jedem inneren Widerstand wahrzunehmen und zu lieben.

Wenn wir bedingungslos lieben, WAS IST – nicht nur das Angenehme – sondern radikal alles, was uns begegnet – so wird unsere Seele grenzenlos weit, leicht, fröhlich, beschwingt, alldurchdringend. Sie befreit sich wieder aus der Enge ihrer Persönlichkeit. Sie wird weise und erkennt die Schönheit und die göttliche Vollkommenheit von allem Sein.

Alles lieben?

Mancher Leser wird sich an dieser Stelle fragen: „Wie kann mir zugemutet werden, das Schlechte und Böse in der Welt zu lieben?“ oder „Was soll die Forderung: Liebe deine Feinde wie dich selbst!“ Es mag sein, dass die Einladung „Alle Wesen und Ereignisse zu lieben wie sie sind“ ein Kopfschütteln oder gar unangenehmen Stress verursacht. Vielleicht hilft uns die Erkenntnis weiter, dass wahre Liebe zwar häufig in einer Handlung seinen Ausdruck findet, doch primär geht es bei der hier angesprochenen Liebe nicht um ein Tun, sondern um ein Sein. Allein ob sich deine Seele, dein Bewusstsein möglichst anhaltend in einem Zustand der Liebe befindet, ist für unser Lebensglück und für das Wohl der ganzen Welt von entscheidender Bedeutung.

Wenn du vorerst nicht in der Lage bist, deine „Feinde“, Menschen, die dich nerven und ärgern, und unerfreuliche Ereignisse zu lieben, so ist das kein Unglück. Liebe dich einfach so, wie du bist, und schon wird sich etwas in dir verändern und in kurzer Zeit wird sich deine Liebe immer weiter ausdehnen.

„Lieben, was ist“, bedeutet allerdings nicht, sich stets passiv zu verhalten, sich alles gefallen zu lassen und still zu dulden. Wer sich und andere liebt, wird auf das Verhalten anderer und auf sonstige Ereignisse zwar stets liebevoll, doch nötigenfalls auch energisch und entschlossen reagieren.

Du bestimmst dein Umfeld

Es entspricht einem kosmischen Gesetz, dass du, je mehr du liebst, immer weniger mit unangenehmen Ereignissen konfrontiert wirst. Du wirst nach und nach zu einem Magneten für Schönheit, Frieden und Harmonie. Probleme, die sich zuvor häufig einfanden, lösen sich wundersam, wie von selbst, auf.

Hingegen ziehen negatives Denken und Nicht-Liebe in dein Leben all das herein, was du ablehnst, worüber du dich ärgerst, wogegen du inneren Widerstad leistest.

Daher

 

Und sei dir dabei bewusst: „All diese Eigenschaften und Ereignisse bin ich nicht. Sie sind nur vergängliche, sich stets ändernde Ausdrucksformen meiner Individualität. Sie sind nur ein Zeichen, ein Spiegel meiner Liebe oder Nicht-Liebe. Sie werden sich rasch verändern, wenn ich meine Nicht-Liebe transformiere.“

Wenn du den radikalen Weg der Liebe gehst, wirst du bemerken, dass sich dein Ego, welches einerseits begehrt und liebt, und andererseits ablehnt und verurteilt, aufzulösen beginnt. Auch wird nach und nach aus deinem Blickfeld entschwinden, was du bisher an dir und anderen abgelehnt und verurteilt hast. Schließlich wird das liebende Ego überflüssig. Denn es ist niemand mehr da, welcher verurteilt, sich und andere abwertet und klein macht. Der Widerstand gegen das Sein, wie es ist, löst sich auf. Du fühlst dich befreit vom „Gut- und Böse-Denken“ und steigst auf in eine höhere Dimension.

 

Herzliche Grüße

Bernd